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Lehmrot und himmelblassblau

Der Sommer hat seinen Zenit erreicht; dieses Gefühl überkommt mich jedes Jahr, wenn der Louisgarder Landwirt Volker zu dreschen beginnt. Und es geht jetzt Schlag auf Schlag. Ich sauge die Farben in mich auf, solange es noch geht. Da ist der lehmrote Dinkel namens Oberkulmer Rotkorn und in einer etwas anderen Nuance der Winterweizen Graziaro. Dazwischen ein paar Halme Emmer, der mit ins Saatgut gerutscht war, in reifem Zustand mit goldgelbem Halm und matt dunkelgraublauer Ähre mit wunderschönen, starken Grannen. Vor dem strohblonden Hafer leuchten in ihrem unverwechselbaren Blau Wegwarten, die wilden Verwandten des Chicorée. Bis Mittsommer sind sie völlig unscheinbar, nahezu blattlos, und plötzlich geht es los: Jeden Tag hauen sie unzählige neue Blüten raus, es ist einfach unglaublich. Sie blühen vormittags ein paar Stunden, dann ist die Pracht vorbei und am nächsten Tag gibt es neue Blüten, das geht jetzt ein paar Monate lang so. Auch die Staubgefäße sind himmelblau und die Enden der Blütenblätter fein gezahnt. Da, wo früher die Lehmgrube war, aus der Lehm für die Ziegelei geholt wurde, stehen dieses Jahr Ackerbohnen, die jetzt auch zur Abreife kommen und schwarze Schoten tragen.

 

 

In der Gärtnerei beginnt jetzt ebenfalls die Zeit der Fülle. Stangenbohnen, Gurken, Zucchini, Auberginen und Tomaten legen richtig los. Bohnen, Zucchini und Gurken ernten wir nun jeden zweiten Tag durch, damit sie nicht zu groß werden, und packen sie in der Kühlung bis zum Verkauf in feuchte Tücher. Im Freiland ernten wir frühe Möhren, Rote Beten, Lauch und Gemüsezwiebeln. Sogar Pastinaken wird es dieses Jahr geben, sie brauchen aber noch ein bisschen. Alle zwei Wochen pflanzen wir noch immer Salate und alle vier Wochen Kohlrabi. Auch die Herbstsalate (Radicchio, Chinakohl, Endivien, Zuckerhut) kommen nun nach und nach auf die Beete, bevor die Pflanzsaison im Freiland sich im August langsam dem Ende zuneigt; die Tage werden wieder kürzer und das Wachstum verlangsamt sich mit dem Wenigerwerden der Sonnenstunden.

 

 

Die anhaltende Hitze und Trockenheit machen uns zu schaffen. Der Wasserspiegel des Sees, in dem Quellen enden und aus dem wir das Freiland bewässern, sinkt sichtlich und wir bewässern nicht mehr täglich. Der Brunnen, aus dem das Wasser für die Gewächshäuser kommt, wird regelmäßig leer und im Notfall stellen wir die Bewässerung auf Leitungswasser um. Zum Glück läuft über Nacht immer Wasser für den nächsten Tag nach. Lutz hat alles gut im Blick und kümmert sich so gut. Über den Gewächshäusern haben wir ja seit einigen Sommern Schattiernetze, nun hat Lutz auch eine Schattierung für die Salate im Freiland gebaut. Trotz Trockenheit faulen sie oft, denn die Feuchtigkeit der Nacht und von der Beregnung verträgt sich nicht gut mit der immensen Hitze am Tag. Die Pflanzen haben zudem Hitzestress und sind dadurch viel anfälliger für Fäulnis und Krankheiten. Auch der Erdfloh ist bei dieser Witterung sehr aktiv. Er ist eigentlich kein Floh, sondern ein kleiner schwarzer Käfer, der springt wie ein Floh und mit Vorliebe Kreuzblütler wie Kohl und Radieschen anfrisst und zum Teil regelrecht durchlöchert, manchmal so sehr, dass fast nichts mehr von der jungen Pflanze übrigbleibt. Zwei Kohlbete hat Lutz nun letztendlich umgemacht, wegen des hohen Erdfloh-Befalls und wegen des vielen Beikrauts, das auf dieser Fläche heuer wahnsinnig gut gedeiht und trotz Mulchschicht den Kohl fast überwuchert hat. Da wir und unsere Helfer, zum Teil aus der SoLawi, zur Zeit sowieso kaum hinterher kommen mit Jäten und Hacken und der Kohl wahnsinnig mickrig war, hat Lutz hier Prioritäten gesetzt. Manchmal geben wir etwas auf, damit wir wieder Kapazitäten frei haben für die vielen anderen Sachen.

Unser Teich, den wir als Zwischenspeicher für aufgefangenes Regenwasser nutzen wollen, wartet noch immer auf seine Vollendung, die nun für Ende August angesetzt ist. Wir merken einfach immer wieder, dass Projekte, die wir zusätzlich zum Betriebsalltag wuppen wollen, oft über unsere Grenzen gehen, da der laufende Betrieb die Tage vollkommen ausfüllt. Selbst die Organisation von helfenden Händen, von Material und die Koordination von Arbeitseinsätzen erfordert Zeit und Energie, die wir oft nicht haben.

 

Nach den aufreibenden Winter- und Frühlingsmonaten ist dennoch wieder etwas Ruhe eingekehrt. Die Steuerprüfung wirft noch ein paar lange Schatten, weil unser Gewinn vom Jahr 2020 auf ca. 30.000 Euro geschätzt wurde, was völlig utopisch ist (im Moment zahlen Lutz und ich als Betriebsleiter uns jeweils ein Gehalt von 700 Euro/Monat aus, von dem wir dann unsere privaten Ausgaben wie Krankenversicherung etc. bezahlen). So zahlen wir Gewerbesteuer nach, die Beiträge für die Krankenversicherung sind in die Höhe geschnellt und auf die Höhe der aktuellen Einkommenssteuer hat diese Schätzung auch Auswirkungen. Es müssen also so schnell wie möglich aktuelle Zahlen her, damit alles neu berechnet werden kann.

 

Auch unseren Tieren geht es glücklicherweise gut. Bei der Schafschur wurde die Achillessehne eines Mutterschafes verletzt und ist dann gerissen. Die Arme hat mir so leid getan. Zeitweise hing das Bein wie das eines Hampelmanns völlig ohne Halt herum. Zusammen mit Ines, die hier am Hof wohnt, haben wir uns wochenlang gekümmert, auch die Tierärztin hat super Arbeit geleistet, die Wunde wurde insgesamt zweimal getackert und zeitweise ganz fest und stabil verbunden. Ich empfinde es fast wie ein Wunder und bin so dankbar, dass alles so gut verheilt ist, dass das Schaf kaum noch humpelt, es kann sein Bein fast ganz normal belasten. Die vier Lämmer sind nun fast drei Monate alt und bereits so groß wie ihre Mütter. Ab und an trinken sie immer noch am Euter. Mit vier bis fünf Monaten beginnen sie, geschlechtsreif zu werden. Eines der zwei Böckchen wollen wir behalten, es muss deshalb kastriert werden, denn es soll ja nicht seine Mutter und Halbgeschwister decken. Für das andere Böckchen haben wir einen Abnehmer gefunden. Ein weibliches Schäfchen könnten wir noch abgeben.

 

Ich freue mich, dass ich wieder etwas mehr im Garten sein kann, denn im Büro bin ich ganz gut hinterher (auch Dank meiner Helferin, die ich seit einiger Zeit habe) und versuche, effizienter zu arbeiten, mehr Struktur in die Abläufe zu bekommen. Wir beginnen zur Zeit um spätestens 6 Uhr morgens, denn in Nullkommanichts ist es schier unerträglich heiß.

 

Ich werde also die Kühle des Morgens beim Ernten genießen, im Vorbeigehen den Wegwarten beim Aufblühen zuschauen und im Inneren darüber philosophieren, wann ich wohl meinen Zenit erreicht haben werde. Eigentlich habe ich eher das Gefühl, dass wir Menschen bis mindestens an unser Lebensende wachsen können. Diese Erfahrung mache ich zur Zeit. Ich werde klarer, mir selbst und anderen gegenüber, lerne, Prioritäten zu setzen und Nein zu sagen. Und Ja zu sagen zu meinen Neins, auch das ist wichtig. Auch für die Gärtnerei wollen Lutz und ich schauen, wo es künftig hingehen soll, was wir uns wünschen, was wir leisten können und was nicht, was wir fördern sollten und wo ein Nein angebracht ist, uns und unserem Wohlbefinden zuliebe. Ich werde immer mehr ich selbst, finde zu mir, indem ich mich immer wieder hinterfrage und austariere. Und manchmal frage ich mich auch, beim Blick auf all das Irdische, das uns tagtäglich fordert und an unsere Grenzen bringt: Was soll das eigentlich alles? Was nehme ich mit, wenn ich eines Tages diese Welt verlasse? Weiterleben wird das Gute und Schöne, das wir in die Welt bringen. 

Falls wir also weiter nichts sein können, so lasst uns zumindest leidenschaftlich und kraftvoll blühen wie die Wegwarten,

alle zusammen, ein kurzes Menschenleben lang,

bevor wir verblühen und sich nach uns hoffentlich neue Blüten öffnen, die Freude und ein Stück Himmel in die Welt bringen.

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Luise Denninger (Dienstag, 25 Juli 2023 21:15)

    Sehr schön Melanie, du hast alles so gut und tatsächlich beschrieben.
    Auch ich liebe das herrliche Blau der Wegwarte die am Wegesrand wartet und ihr Leuchten für ein paar Stunden verschenkt.

  • #2

    Paula S. (Samstag, 05 August 2023 21:20)

    Wunderschön geschrieben, wie immer <3
    Toll, wie du deine Lebensempfindung und deine Selbstwahrnehmung mit der Natur verbindest!
    LG

 

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