Solidarische Landwirtschaft – das ist eine so direkte Angelegenheit. Unser Konsumverhalten hat Auswirkungen, das wird hier mehr als deutlich. Vor allem müssen wir aufhören, einfach konsumieren zu wollen, es hängt zu viel dran, es ist zu wichtig. In den Köpfen von vielen ist das angekommen, aber noch immer fehlen Informationen und vor allem das Gefühl zu dem, was der Verstand bereits weiß. Ohne diese direkte Angelegenheit, ohne die Direktvermarktung, können Betriebe wie wir nicht überleben und das ist nicht nur so daher gesagt, ich meine das ernst. Wir könnten doch an Deutschlands größte Supermarktkette liefern, die seit kurzem sogar Demeter-Mitglied ist? Nein, können wir nicht. Der Mindestumsatz für Lieferanten lag 2018, als die Kooperation mit Demeter-Erzeugern begann, bei 100.000 Euro pro Jahr. Da müssten wir alle anderen Vermarktungswege komplett aufgeben. Und dann könnten wir nicht davon leben, weil wir nur Handelspreise für die Waren bekommen würden. Wir müssten also deutlich mehr anbauen, um den gleichen Umsatz wie mit der Direktvermarktung zu machen. Zudem sind das Strukturen, die uns nicht als unterstützenswert erscheinen. Finden wir es nicht alle schön, durch nette Städtchen zu gehen mit tollen Läden? Bedauern wir es nicht alle, wenn einstmals lebendige Ortschaften wie ausgestorben sind, weil am Ortsrand Discounter ohne Ende gebaut werden? Andere SoLawis und inhabergeführte Bioläden, auch das Angebot der Biokisten, betrachten wir nicht als unsere Konkurrenz, im Gegenteil: Das sollte dringend gefördert werden, auch von Entscheidungsträgern in den Städten und Gemeinden.
Mit ein paar Klicks können wir im Internet rund um die Uhr alles anfordern und es uns bis vor die Haustür liefern lassen, auch Lebensmittel und sogar Gemüse; Discounter bieten Lieferdienste an. Warum sollte man sich da die Mühe machen, in den Bioladen zu gehen, auf den Wochenmarkt oder Mitglied in einer SoLawi zu sein? Vor allem die SoLawi ist kein Wunschkonzert, sie bietet Regionalität und Saisonalität, sie füllt diese Begriffe, die so groß in Mode und in aller Munde sind, mit Leben. Aber das ist dann doch ein bisschen zu viel des Guten, oder? Meine Schwester und ich, wir sind durchaus imstande, soweit zu reflektieren, dass wir uns selbst da nicht ausschließen. Ein paar Klicks im Internet zu machen, ist so leicht und bequem, in den (Bio)Supermarkt zu gehen, wo es einfach alles in Hülle und Fülle und (bedingt durch die größere Masse) zu günstigeren Preisen als im inhabergeführten Bioladen oder über die Biokiste gibt, ist so schön und das Gewissen ist auch beruhigt. Außerdem haben wir doch gar keine Kapazitäten, es anders zu machen, oder? Wir haben schließlich auch noch ein Leben, eine Familie, einen Beruf.
Lutz hat seit seinem Beginn hier auf Louisgarde im Jahr 1990 fünf regionale Gärtnereien aufgeben sehen. Die Kundenzahl der uns angeschlossenen Louisgarder BioKiste ist nach einem guten Pandemie-bedingten Aufschwung drastisch zurückgegangen. Charlotte hat den Eindruck und bekommt auch dementsprechende Rückmeldungen von den Kunden, dass vor allem aufgrund der aktuellen unsicheren wirtschaftlichen und politischen Lage weniger Geld (für hochwertige Lebensmittel?) ausgegeben wird. In einem europaweiten Vergleich des Marktforschungsinstituts NIQ zeigt sich übrigens, dass in keinem anderen Land ein so geringer Teil des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben wird. Dollmann's Bioladen in Weikersheim reduziert drastisch seine Öffnungszeiten. Die Gründe: fehlende Kunden, die immense Herausforderung, Privat- bzw. Familienleben und das Geschäft unter einen Hut zu bekommen. Das alles ist ein Spiegel unserer Branche.
Wie geht es weiter? Wir und unsere Kollegen hier in der Region und so viele andere tolle Menschen, die so viel beitragen zu lebenswerteren Strukturen – werden wir die nächsten
sein? Es geht mir nicht nur um uns persönlich, nicht nur um diesen wunderbaren Ort hier. Klar, wenn ich an all die Arbeit und Liebe denke, die Lutz in den Aufbau der Gärtnerei seit 1990
gesteckt hat, tut mir das Herz weh beim Gedanken an eine
unsichere Zukunft. Aber ich denke da viel weiter. Es geht mir ums große Ganze, um das Bild der Welt und der Gesellschaft und um die Strukturen, an denen wir durch unser
Verhalten tagtäglich aktiv weben, ohne es zu merken. Kleine, vielseitige, regionale Strukturen sind resilienter als große, globale, anonyme. Genauso wie Monokulturen, in
die der Bauer womöglich persönlich keinen Fuß mehr setzt, anfälliger sind als eine ausgewogene Mischkultur.
Ich bin davon überzeugt, dass all diese kleinen, persönlichen, vielseitigen Betriebe gut leben könnten, wenn nur ein paar mehr Menschen ein paar Mal mehr bewusster handeln, ihre Prioritäten
überdenken würden; wenn wir das gemeinsam tragen würden und es nicht an einem verschwindend geringen Prozentsatz bewusst lebender Menschen hängen würde, dann könnten wir es
schaffen.
Ich drücke es mal sehr flapsig aus, aber in mir ist Wut und Verzweiflung, wenn ich über all das nachdenke: Wir müssen endlich aufhören zu pennen und anfangen, den Arsch
hochzukriegen, in so vielen Bereichen, sonst wird es bald zu spät sein. Je weiter wir gehen, desto schwerer wird es, umzukehren und Dinge rückgängig zu machen. Die, die das hier lesen,
tun schon so einiges. Ich weiß, dass manche unsere (Markt)Kunden ihr weniges Geld für gute, faire, nachhaltige Lebensmittel und einen ebensolchen Lebenswandel in vielen Bereichen ausgeben; manche
kaufen bewusst das krumme, äußerlich nicht ganz so perfekte Gemüse, damit es nicht zum Schluss liegen bleibt. Dafür danken wir euch. Wir sehen und schätzen das und euch. Werdet nicht
müde, ein Vorbild zu sein und euren Mitmenschen zu zeigen, wieviel Freude und Erfüllung es bringt, Verbindung statt Anonymität zu leben, einen zweiten Blick zu wagen und
verantwortlich zu handeln.
Wir hier auf Louisgarde geben mit Liebe und Leidenschaft alles, was wir können und solange wir können. Doch wir wollen unsere eigenen Grenzen sehen und wahren, das wird uns immer klarer. Es ist für niemanden gut, wenn wir uns aufopfern. Und das Paket für meine liebe Schwester, das hier schon zwei Wochen steht und mich offen anstarrt, das es einfach nicht bis zur Post schafft, ist ein Indiz dafür, dass ich achtsam sein sollte.
Am Ende unseres Lebens können wir nichts mitnehmen, aber die
Freude und das Gute, das wir in die Welt bringen, hinterlässt
bleibende Spuren, davon bin ich überzeugt. Leben und Fülle
entsteht aus Verbindung, nicht aus Trennung. Fragen wir uns also:
In was für einer Welt wollen wir leben?
Und fangen wir heute an, sie zu gestalten.
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Georg (Freitag, 22 November 2024 17:58)
Ich bin ganz bei euch!